12. Januar 2015

Frankreich kaputt. Kehraus

Am Mittwochmittag werden in der Redaktion des Charlie Hebdo und davor von zwei militärisch ausgebildeten Muslimen, den Gebrüdern Cherif und Said Kouachi, im Auftrag des Islamischen Staates oder der Al-Qaida zwölf Menschen ermordet.

Eine halbe Stunde nach dem Attentat twittert Joachim Roncin, der künstlerische Direktor und Musikjournalist des kostenlosen Magazins "Styliste", den Slogan "Je suis Charlie". Der Massenmord, reduziert auf die Karikaturisten, wird somit selbst zur Karikatur, das Geschehen kommt nicht in der Wirklichkeit an. Personen, Ort und Zeit werden unwichtig. Der Slogan dient zur Identifikation mit den Opfern. Joachim Roncin erklärt es dem Paris Match.

Deutsche kennen und praktizieren das, wenn es um die Judenvernichtung geht.

L'Express "Culture" [!] verlegt die Morde einen Tag vor: "Die fünf ermordeten Zeichner gehören zu zwölf Toten, Opfer des diesen Dienstagmorgen [!] am Sitz des Charlie Hebdo begangenen Attentats."

Viele Stunden lang berichten französische Medien nur von den Karikaturisten Cabu, Tignous, Wolinski, Charb und Honoré, manche bis zum folgenden Morgen. Sie nennen sie nicht bei ihren bürgerlichen Namen, man muß diese lange im Internet suchen. Es folgen nach&nach die Klarnamen und die Namen der anderen sieben Opfer. Von dem Dutzend teils Schwerverletzten gibt es kaum eine Nachricht.

Der für die Morde in Montrouge und im Hyper Cacher verantwortliche Terrorist Amedy Coulibaly ist im Dezember 2013 wegen eines Ausbruchsprojektes und der Vorbereitung eines größeren Attentats zu fünf Jahren Haft ohne Bewährung verurteilt worden, aber Justizministerin Christiane Taubira ist der Ansicht, daß Inhaftierung in solchen Fällen nicht angebracht ist, und so kann er, am 8. Januar 2015, sein Werk in Montrouge und im Hyper Cacher, vollenden.

Die Morde an der Polizistin, in Montrouge, und an den vier Juden gehen auf das Konto der Regierung Frankreichs. Diese Morde sind nur noch Dreingabe,  da sind alle längst "Charlie", selbst Opfer, und haben nichts mehr übrig für sechs Juden, zwei Muslime und zwei Polizisten, die werden ebenfalls zum "Charlie" gemacht. "Der Charlie gehört zu Frankreich".

Die Kampagne der Regierung kann beginnen, die Bevölkerung ist reif. Das volksgemeinschaftliche Opfer kann sich weder mit Juden, noch Muslimen, noch Polizisten identifizieren und erst recht nicht mit einem Korrektor, einem Volkswirt, einer Psychiaterin oder gar mit einem Hausmeister. "Je suis Charlie" verschließt den Zugang dazu.


So befreit von der eigenen Verantwortung für die Massaker kann sich die Regierung Frankreichs in einer groß angelegten Operation selbst als Opfer stilisieren, die Bürger auffordern, sich der für Sonntag angesetzten Massendemonstration anzuschließen. Es ist eine nationale Versammlung der Opfer, alle sind "Charlie", von François Hollande bis zum Obdachlosen.

Politiker, die nicht einverstanden sein könnten mit dieser Vereinfachung, und die wie Marine Le Pen als Konkurrenten in den Startlöchern scharren, werden nicht eingeladen zu der frivolen Veranstaltung, die werden nicht zum "Charlie" gemacht. Eine kleine Minderheit der Bürger macht sich selbst nicht dazu, dafür aber alle Regierungschefs und sonstigen hochrangigen Regierungsvertreter anderer Länder, und alle, alle folgen der Einladung. Benjamin Netanyahu nutzt das Horrorszenario, um die Juden Frankreichs aufzufordern, nach Israel einzuwandern.

Was die Regierung Frankreichs bei ihrer PR-Aktion zur Unité républicaine nicht bedenkt, berauscht, wie Politiker und Medien von den Millionen "Charlies" im ganzen Land sind:
  • Ein Viertel bis ein Drittel der Franzosen, wenn nicht mehr, ist ausgeschlossen von der Einheit, weil Marine Le Pen nicht eingeladen wurde,
  • ausgeschlossen sind alle Muslime, denn ihrer Opfer wird nicht gedacht,
  • und sie können nicht hinter einem Slogan herlaufen, der Karikaturisten zu Helden macht, die den Propheten Mohammed beleidigen,
  • alle Juden, denn der Spruch sagt ihnen, daß sie nicht gemeint sind,
  • alle Polizisten, denn auch sie sind im Slogan nicht einbegriffen.
Mehr als die Hälfte aller Bürger Frankreichs ist ausgeschlossen.

Als wenn das noch nicht schlimm genug wäre, kommt außenpolitisch hinzu, daß der Führer des Islamischen Staates oder der al-Qaida, oder wer auch immer letztlich den Auftrag für die Massenmorde erteilt hat, nun weiß, daß Frankreich durch drei entschlossene, gut ausgebildete Glaubenskämpfer zum "Charlie" gemacht werden kann, daß 50 Regierungen Europas und der Welt sich zum "Charlie" machen, daß die von der Macht des Islams beeindruckte Bundeskanzlerin Angela Merkel als "Charlies Tante" nach der Gigantomanie in Paris erklärt: "Der Islam gehört zu Deutschland".

Der Kalif des Islamischen Staates Abu Bakr al-Baghdadi braucht nach allem, was da von Mittwoch bis Sonntag abgelaufen ist, nur Szenarien durchzuspielen: Was passiert in Frankreich oder in Deutschland, wenn ich dorthin fünf Glaubenskämpfer, was wenn ich zehn schicke, oder ein Regiment?

An Kämpfern mangelt es ihm nicht.