20. November 2012

Syrien. Bündnissolidarität Deutschlands für wen?

Photo: Bülent Kilic/AFP

Besseres kann dem militanten Sunniten Recep Tayyip Erdogan nicht geschehen: Deutschland stellt sich auf seine Seite im Kampf gegen den Erbfeind Rußland, und China wird seiner Verbindlichkeiten dem Iran gegenüber gleich mit ins Visier genommen. Das rangiert beim Verteidigungsminister der Bundesrepublik Deutschland Thomas de Maizière unter "Bündnissolidarität" mit der Türkei im Rahmen der NATO. Stephan Ueberbach, vom SWR, Magister Artium in Mediävistik, neuerer Germanistik und Geschichte und Gesprächspartner der Claudia Roth, ist begeistert, daß es endlich losgeht: Deutschland darf sich nicht schon wieder drücken. So wird die politische Haltung der Bundesregierung im Fall der Ersetzung des Diktators Muammar al-Gaddafi durch eine radikalislamische Regierung als Feigheit abqualifiziert. Sesselpuper laufen zur vollen Form auf.

Seit Beginn der Aufstände in Syrien gegen den alawitischen Diktator Bashar al-Assad werden die syrischen Rebellen von Katar mit Petrodollars, Waffen und Glaubenskämpfern versorgt, CIA-Agenten kontrollieren in Syrien die Waffenlieferungen an die Rebellen, darunter Panzerfäuste aus saudischen Beständen. Die vom syrischen Tall al-Abyad auf den Ort Akçakale, in der Türkei, gelenkten Geschosse gehen von einem Grenzgebiet aus, das unter Kontrolle der Rebellen steht. Le Figaro liefert am 10. Oktober 2012 dazu die Graphik, einschließlich der Todeszahlen von März 2011 bis Oktober 2012. "Finanziert von den Golfstaaten, werden diese geheimen Waffenlieferungen über die Türkei durch die amerikanische Agentur kontrolliert," berichtet Georges Malbrunot, am 27. Juni 2012.

Es ist allen seit Beginn der Kämpfe bekannt, was in Syrien geschieht: eine laizistische Diktatur, die verschiedene religiöse Richtungen in Schach hält, wird zugunsten einer radikalen sunnitischen Diktatur ersetzt. Bereits am 8. August 2011 ziehen Saudi-Arabien, Kuwait und Bahrein ihre Botschafter aus Damaskus ab, der Machtkampf zwischen Sunniten und Schiiten nimmt Fahrt auf. Im ZDF-heute verwechselt Matthias Fornoff vor lauter Aufregung die Hauptstädte Damaskus und Tripoli, aber das libysche Tripoli kommt erst am 20. Oktober 2011 so richtig auf den Bildschirm.

Mancher ahnt nicht die Ausmaße der Ignoranz bzw. der Böswilligkeit, je nach Informationsstand, der westlichen Politiker und Journalisten, wenn es um die Berichterstattung über Syrien geht. Im Artikel vom 13. März 2012 Syrien. Bewaffnung der Aufständischen ein gefährliches Wagnis gibt es dafür Belege satt.

Die Ausmaße der Verantwortungslosigkeit der deutschen Regierung, in die syrisch-türkische Gemengelage deutsche Soldaten und deutsche Waffen zu schicken, kann man noch besser verstehen, wenn man den Artikel von Georges Malbrunot liest. Syrie : les djihadistes font bande à part. Syrien: Die Glaubenskämpfer sondern sich ab. Da wenige meiner Leser französisch lesen, übersetze ich ihn. Im Internet findet man ihn unter dem Titel Les djihadistes rejettent la Coalition en Syrie. Die Glaubenskämpfer weisen die Koalition in Syrien zurück. Ich bitte, etwaige Fehler oder holprige Stellen in der Übersetzung zu entschuldigen. Ich bin keine Übersetzerin.

Die Glaubenskämpfer weisen die Koalition in Syrien zurück

Ablehnend, sich unter die Kontrolle der Befreiungsarmee zu begeben, kündigen die Glaubenskämpfergruppen die Errichtung eines islamischen Staates in ihrer Hochburg nahe Aleppo an.

Eine schlechte Nachricht für die Opposition gegen Bashar al-Assad. Mehrere bewaffnete Islamistengruppen haben diesen Montag ihre Ablehnung der vor einer Woche unter sehr starkem internationalen Druck zur Einigung der Oppositionsreihen und Beschleunigung des Sturzes des Regimes von Damskus in Doha gebildeten Nationalen syrischen Koalition angekündigt. Schlimmer noch, in einem im Internet verbreiteten Video haben sich diese Rebellengruppen "ausgesprochen für einen islamischen Staat", der von ihren Bastionen in Aleppo und seiner Provinz ausgehen soll, wo die Glaubenskämpfer und Salafistenrebellen seit einem Jahr eindringen.

Dieser Aufruf ist unterzeichnet worden von der den Thesen der Qaida im Irak nahestehenden Front al-Nosra, Liwa al-Tawhid, sehr verbreitet in Aleppo, aber auch durch die in der Region von Idlib einflußreiche radikale Salafistengruppe Ahrar al-Cham. "Wir, die auf dem Territorium der Stadt Aleppo und ihrer Provinz kämpfenden Rebellengruppen, kündigen unsere Ablehnung des Komplotts an, daß das ist, was man die Nationale Koalition nennt, und wir sind einmütig übereingekommen, einen gerechten islamischen Staat zu errichten," betont das Video.

"Der Bevölkerung eine glaubwürdige Alternative geben"

Genau deshalb, um ihnen die Grundlage dazu zu entziehen, haben die westlichen Länder und die Golfmonarchien, beunruhigt durch den Anstieg an Macht der islamistischen Radikalen, starken Druck ausgeübt, auf daß die Opposition ihre Einigkeit stärke und ihren repräsentativen Charakter ausweite, um "der syrischen Bevölkerung eine glaubwürdige Alternative zu Assad zu geben".

Doha "ist die letzte Chance (für diese Opposition, d. Red.), widrigenfalls werden es die anderen sein, die gewinnen," kündigte kürzlich ein französischer Diplomat an, der mit Syrien vertraut ist. "Die anderen" bezeichnete die Glaubenskämpfer und Salafisten, die heute offen die Autorität der neuen "Koalition" herausfordern.

Monatelang haben die Opposition im Exil und gewisse westliche Sponsoren nicht das wachsende Gewicht der Glaubenskämpfer und anderer Salafisten anerkennen wollen, die sich um keinen Preis unter ein vereintes Kommando des Aufstandes begeben wollen. Außer etwa 2000 ausländischen Kämpfern, die seit einem Jahr nach Syrien eindringen, zählt die radikale salafistische Bewegung zahlreiche durch die westliche Unfähigkeit, ihnen zu helfen, enttäuschte syrische Sympathisanten. Von aus dem Irak gekommenen Experten profitierend, begehen sie die blutigsten Attentate gegen das Regime, und ihre Entschlossenheit ist grenzenlos.

Diese Ankündigung läuft Gefahr, die Beziehungen zwischen den beiden sich gelegentlich schon auf lokaler Ebene bekämpfenden Polen der bewaffneten Rebellion noch mehr zu verhärten. Die Bruderkämpfe führen nicht systematisch zum Vorteil der Rebellen, die der Koalition nahestehen.

Fünf Fronten, um die der Koalition nahestehenden Rebellen zu verstärken

Nach dieser Ankündigung haben die internationalen Sponsoren der neuen Zusammensetzung der Opposition keine andere Wahl, als die der Koalition nahestehenden nicht-islamistischen Rebellen zu stärken. Sie haben in Doha begonnen, das zu tun, in dem sie "fünf Fronten" geschaffen haben - in jeder der großen Städte und ihrer Umgebung - wo die der Koalition nahestehenden Rebellen mindestens Zweidrittel der Kämpfer gegenüber dem restlichen aus Ultras, Glaubenskämpfern und Salafisten zusammengesetzten Drittel ausmachen sollten. Seit einigen Tagen finden Verhandlungen in Riyad, Saudi-Arabien, statt, um die Errichtung dieser fünf Fronten zu beschleunigen. Daran nehmen die wichtigsten aus der Türkei und Jordanien angereisten desertierten Generäle, Vertreter der Befreiungsarmee aus dem Innern sowie amerikanische, französische, britische und türkische Militärs teil.

Die ganze Frage ist zu wissen, auf welcher Seite in diesem Kampf um Einfluß unter den Rebellen auf dem Gelände die Muslimbrüder stehen. Ein Teil der Brigade Al-Tawhid ist tatsächlich verbunden mit der Befreiungsarmee und mit einigen Würdenträgern der Muslimbrüder. Eines ist sicher: Dieses Auseinanderbrechen des Aufstandes bestärkt das Regime von Bashar al-Assad und läuft Gefahr, die Sorge aller derjenigen zu verschärfen, die nach dem Fall des Regimes in Damaskus in Syrien keinen radikalislamischen Staat wollen.

Übersetzung: Dr. Gudrun Eussner

Nun hat man einen Eindruck, wozu deutsche Soldaten und Waffensysteme in die Türkei, an die Grenze zu Syrien verlegt werden sollen: Der Teufel soll mit Beelzebub ausgetrieben werden.