5. März 2012

Frankreich. Der Philosoph Michel Onfray über Jean-Paul Sartre

"Es gab eine radikale Gegensätzlichkeit zwischen Camus und Sartre. Sie, Sie haben sich entschieden. Warum?" fragt der Dichter und Schriftsteller Serge Bonnery den Philosophen, und der antwortet: "Weil es da einerseits die Wahl zwischen Camus gegeben hat, Größe, Aufrichtigkeit, Rechtschaffenheit, Ehrlichkeit, Treue gegenüber den Armen, und andererseits Sartre, Lüge, Verfälschung, Opportunismus, Ruhmsucht ... Die Gradlinigkeit von Camus scheint mir interessanter als der Weg Sartres, der vor allen Tyranneien des 20. Jahrhunderts gekrochen ist, vorausgesetzt sie waren links. Ein Philosoph, der dieses Namens würdig ist, ergreift nicht Partei für Terror, Gewalt, Brutalität."

Serge Bonnery: "Camus spricht sich gegen die Hinrichtung von [Robert] Brasillach aus. Sartre ist dafür. Einige Jahre später läßt er Camus in den Temps modernes das Gegenteil behaupten. Wie erklären Sie diese Haltung?" Michel Onfray: "Camus ging aus von einer prinzipiellen Einstellung - die ich absolut teile - sie ist die der Ablehnung jeder Todesstrafe, wie immer ihre Form sein möge: Die Guillotine des Staates, das nationalsozialistische Konzentrationslager, seine sowjetische Ausgabe, das Napalm der französischen Armee, die Bombe des algerischen Nationalisten, die von den Amerikanern auf Japan abgeworfene usw. Sartre war immer motiviert durch eine einzige Sache: nicht die Treue zu einer Idee, sondern die Treue zu sich selbst, deren Plan, wie erzählt in [seinem autobiografischen Werk] Die Wörter war, durchs Schreiben berühmt zu werden. Für ihn ging die Politik ein in diesen Prozeß: berühmt werden, berühmt sein. Mit der Zeit weiß er deshalb nicht mehr, ob er für oder gegen die Begnadigung von Brasillach war, weil er eine politisch opportunistische Position eingenommen hat - die der Kumpanei mit dem PCF, der Kommunistischen Partei Frankreichs, zu der Zeit ein soziales Sprungbrett - und nicht eine Einstellung aus Überzeugung."

Michel Onfray spricht von eben dem Jean-Paul Sartre, der im ersten Nachkriegsjahr in seinen Réflexions sur la question juive. Betrachtungen zur Judenfrage [sic!] bestimmt, daß Jude derjenige ist, den andere dazu machen, und der damit Juden ihre eigene Identität abspricht. Kulturrelativisten und Revoluzzer haben deshalb noch heute ihre Freude an Jean-Paul Sartre. Stéphane Hessel ist stolz, daß er ihm gleichgesinnt ist, nicht umsonst wirbt der Verlag indigène éditions auf den letzten Seiten des Pamphlets Indignez - vous ! für den Essay des Yves K. alias Jean-Pierre Barou Sartre et la violence des opprimés. Sartre und die Gewalt der Unterdrückten. Dort wird der späte Jean-Paul Sartre rehabilitert für seine Begeisterung und aktive Unterstützung des linken Terrors des 20. Jahrhunderts, von Mao und Pol Pot bis zur Roten Armee Fraktion.

Einen Vorgeschmack, was den Käufer erwartet, erhält man bei Lektüre eines Artikels des Jean-Pierre Barou in der Libération, vom 12. Mai 2008. Sein Sekretär Benny Lévy, Maoisten-Funktionär, findet statt des fast erblindeten Philosophen die angemessenen Worte, die ihn angeblich einen moralischen Sinn der Geschichte haben finden lassen. Vielleicht hat er ja den Brief ans Gericht, vom 3. November 1974, verfaßt, in dem der Philosoph bittet, gemeinsam mit seinem Freund und Dolmetscher Daniel Cohn-Bendit den RAF-Terroristen Andreas Baader zu interviewen? Einen Monat später ist er in Stammheim und besucht das "Arschloch", wie er den Terroristen laut Wiki anschließend bezeichnet.

Die Lügen hören nimmer auf, was Epigonen vom Kaliber des Stéphane Hessel für ihr Projekt der Delegitimation Israels übernehmen.

Am Samstag, den 10. März 2011, ab 17 Uhr, stellt Michel Onfray, eingeladen von den Vendanges littéraires, in Rivesaltes, einem in Deutschland vielleicht eher durch seinen Muscat de Rivesaltes, den natürlichen Süßwein, bekannten Vorort von Perpignan, sein im Januar 2012 im Verlag Flammarion erschienenes, schon zum 50. Todestag des Schriftstellers erwartetes Buch über Albert Camus vor: L'ordre libertaire. La vie philosophique d'Albert Camus. Die libertäre Ordnung. Das philosophische Leben des Albert Camus.

Die Vendanges Littéraires, die Literarischen Ernten, sind eine Gründung der Bürgermeisterei von Rivesaltes. Die Provinzzeitung L'Indépendant berichtet heute (nicht online) ausführlich über das kulturelle Ereignis, und nun kann frau überlegen, ob sie ihren Samstagnachmittag statt zu Hause oder am Mittelmeerstrand in Rivesaltes verbringt. Entscheidungshilfe bietet das auszugsweise zitierte Interview von Serge Bonnery mit dem Autor: "Un vrai philosophe est intempestif". Ein wirklicher Philosoph ist unzeitgemäß, unbequem.

Also auf, nach Rivesaltes, mit dem zeitgemäßen, bequemen Autobus der Linie 12.