7. Juni 2011

Frankreich. DSK und die Überlegenheit der französischen Justiz


Die permanenten und eigens entsandten Korrespondenten des Figaro liefern den Lesern zum Vergewaltigungsvorwurf gegen Dominique Strauss-Kahn viel Text mit viel heißer Luft. Zu seiner ersten kurzen Anhörung vor dem New Yorker Gericht meint Kommentator Fusti, am 6. Juni 2011, um 16:06 Uhr: "4 min d'audience, 3 lignes d'information à tout casser.. et le Figaro en tire 4 articles de broderie sans aucun intérêt. Est-ce cela le journalisme? Je vous rassure néanmoins, 98% des autres médias d'information en sont au même point. C'est le plus tragique de l'affaire DSK, ce constat du vide que produisent nos médias d'information." 4 Min. Gerichtsverhandlung, 3 Zeilen höchstens ... und Le Figaro stickt daraus 4 Artikel ohne jedes Interesse. Ist das der Journalismus? Ich versichere Euch nichtsdestotrotz, 98% der Informationsmedien sind am selben Punkt. Das ist das allertragischste der Affäre DSK, die Feststellung der Leere, die unsere Informationsmedien produzieren.

Dieser Kommentar ist nicht mehr aufzufinden unter dem Artikel von Amélie Lombard-Latune La journée cruciale de Strauss-Kahn. Der entscheidende Tag des Strauss-Kahn. Er wird der Berichterstattung nicht gerecht. Manche Leser bemerken anscheinend nicht, was die Artikel, gewollt oder ungewollt, in Nebensätzen aussagen: Sie handeln vom desolaten Justizsystem Frankreichs. Unter der Überschrift "Un procès fin 2011?" Ein Prozeß Ende 2011? weiß die Korrespondentin: "C'est la grande différence avec la procédure française: la justice peut aller vite." Das ist der große Unterschied zum französischen Verfahren, die Justiz kann schnell handeln.

In Frankreich wird der Justiz diese Fähigkeit genommen, sie ist nicht unabhängig, sondern die Exekutive in Gestalt des Staatspräsidenten und seiner Ministerialbeamten bestimmt, ob ein Prozeß durchgeführt wird, sie bestimmt Prozeßbeginn und -verlauf sowie das Urteil. Am Beispiel der Gerichtsverfahren gegen den Abgeordneten der Nationalversammlung Didier Julia und gegen den Stellvertretenden Bürgermeister von Neuilly-sur-Seine Philippe Karsenty, den Israel-Korrespondenten Charles Enderlin und seine Berichterstattung über die angebliche Erschießung des Mohammed al-Dura durch israelische Soldaten betreffend, haben meine Leser in mehreren Artikeln sehen können, wie Verfahren verschleppt, parteiisch durchgeführt und im Sinne vermeintlicher oder tatsächlicher Staatsinteressen beendet werden.

Didier Julia handelt als Vermittler im Fall der Geiselnahme der Journalisten Christian Chesnot, Georges Malbrunot und Florence Aubenas. Staatspräsident Jacques Chirac, zuständige Ministerien und Geheimdienste Frankreichs sind informiert; denn wie könnte Didier Julia ohne deren Unterstützung mit seinen Helfern Philippe Brett und Philippe Evanno zweimal vom Flughafen Le Bourget aus mit dem Privatjet des ivorischen Präsidenten Laurent Gbagbo - seinerzeit der Zusammenarbeit mit den USA wegen schon am Rande des Gunstentzuges und zu Freundschaftsbeweisen verpflichtet -, nach Syrien losfliegen, wie sollten die "note blanche" des Pierre Brochand, Chef des Auslandsgeheimdienstes Direction générale de la sécurité extérieure (DGSE) und die vom französischen Außenministerium vermittelten Visa für Syrien und manches mehr erklärt werden?

Dennoch strengt die Generalstaatsanwaltschaft ein Verfahren beim Anti-Terrorrichter Jean-Louis Bruguière gegen die Vermittler an, eine von der Opposition geforderte parlamentarische Untersuchung kann des schwebenden Verfahrens wegen nicht durchgeführt werden. Das Verfahren schwebt heute noch. Didier Julia ist schon bald wieder Persona grata und wird zu Empfängen des Staatspräsidenten im engsten Kreis gebeten. In den Artikeln, vom 29. Dezember 2004 und vom 2. März 2005, Der Fall Didier Julia weitet sich zum politischen Skandal aus und Florence Aubenas fleht Didier Julia um Hilfe an kann man Einzelheiten dazu erfahren, was in Frankreich unter Gerichtsverfahren verstanden wird.

Im Falle des Klägers Charles Enderlin kritisiert kein französisches MSM die Ungeheuerlichkeit, daß Staatspräsident Jacques Chirac und der Bürgermeister von Paris Bertrand Delanoë jeder einen eigens für den Prozeß geschriebenen Brief an das Gericht schicken und darin Elogen über die Qualitäten des Korrespondenten Charles Enderlin von sich geben. Sie heben damit die Schranke zwischen den Gewalten auf. Die Exekutive, vertreten durch ihren höchsten Repräsentanten, mischt sich in die Angelegenheiten der Justiz ein. Die Wahrung dieser Schranke macht eine demokratische Herrschaft aus.

Die Ausmaße der Einmischung werden deutlich, wenn man weiß, daß es der Staatspräsident ist, der die obersten Juristen des Landes bestimmt. Der Generalstaatsanwalt des Pariser Berufungsgerichtes wird von ihm eingesetzt, und man wundert sich nicht mehr über Fälle wie die des Didier Julia und seiner Mitarbeiter, und erst recht versteht man nun, warum die Klage des israelisch-französischen Auslandskorrespondenten Charles Enderlin und seines Arbeitgebers, des staatlichen Fernsehkanals France 2, gegen die kritische Site Media Ratings des Philippe Karsenty vor Gericht endet wie das Hornberger Schießen.

Welcher Staatsanwalt, welcher Richter wird sich eines Philippe Karsenty wegen die Karriere verbauen? Das Urteil der Ersten Instanz steht bereits vorab fest. Deshalb erscheinen die Kläger gar nicht erst vor Gericht. In einem fairen, unabhängigen Prozeß wäre es für sie ein Risiko, keine Zeugen zu benennen, keine Beweise vorzulegen und keinen der vier vom Beklagten benannten Zeugen zu befragen. Der Brief des Jacques Chirac erklärt die Entscheidung gegen den sehr plausiblen Antrag der Staatsanwaltschaft auf Freispruch. Im Artikel, vom 2. November 2006, Justiz und Medien Frankreichs im Dienst der Politik des Jacques Chirac, kann man mehr darüber lesen.

Im Oktober 2006, kurz vor Ende seiner Amtszeit ernennt Jacques Chirac den Juristen Laurent Le Mesle zum Generalstaatsanwalt am Pariser Berufungsgericht. Von 2002 bis 2004 ist dieser Berater des Staatspräsidenten Jacques Chirac in juristischen Angelegenheiten, 2004 Kabinettschef des Justizministers Dominique Perben und 2005 des Justizministers Pascal Clément. Die Ernennung wird in Gerichtskreisen als schockierend bezeichnet; er verkörpere die Vermischung von Justiz und Politik, den Mißbrauch der Justiz zu persönlichen Zwecken. Laurent Le Mesle schreibt im Jahr 1999 ein Buch, in dem er rechtfertigt, daß der Justizminister dem Gericht zur Verhandlung schriftliche Anweisungen geben kann.

Ihm wird letztinstanzlich der Fall vorgelegt, und die Methode a la franca setzt sich einmal mehr durch. Philippe Karsenty wird von ihm freigesprochen, wie schon der Staatsanwalt in erster Instanz fordert, aber der Richter auf Grund des präsidentialen Briefes nicht durchzusetzen wagt. Der Beklagte bekommt von der französischen Justiz ab sofort Narrenfreiheit, über die Erschießung des Mohammed al-Dura zu erzählen und zu schreiben, was er will, und das tut er denn auch bis heute in den USA und in Israel auf Einladung und unter Beifall. In Frankreich herrscht letztinstanzlich durchgesetzte Meinungsfreiheit, verkündet er damit weltweit. Besser könnte es für das Ansehen Frankreichs nicht laufen. Er baut sich mit seiner kleinen Mohammed-al-Dura-Industrie für 2012 sogar eine politische Karriere als Vertreter der Franzosen in Italien, Israel, Griechenland, der Türkei, Zyperns, Maltas, San Remos und des Vatikan auf und tobt dazu mit gröbstem Vokabular gegen seine Konkurrentin Valérie Hoffenberg. Charles Enderlin grummelt derweil über den ausgetricksten Philippe Karsenty und beschimpft ihn in einem Buch, aber am wichtigsten ist, daß mit dem salomonischen Urteil der Fall selbst, wer den palästinensischen Jungen erschossen hat, oder ob der gar noch lebt, für alle Zeiten aus einem Verfahren ausgenommen ist. Das ist Justiz in Frankreich auf der Höhe der Meisterschaft.

Wem das immer noch nicht reicht, der schaue in die Artikel über die Affäre Clearstream.

Amerikanische Statsanwälte schielen nach Wiederwahl

Wie zuletzt im Artikel Frankreich. DSK und die Tatsachen in den USA dargelegt, werden von französischen MSM von der Warte der Überlegenen aus die amerikanische Gesellschaft, ihre Kultur und ihre Einrichtungen betrachtet und abqualifiziert. Es gibt in Frankreich kaum einen Bereich, in dem nicht Arroganz und Anti-Amerikanismus fröhliche Urständ feiern, bei den Globalisierungsgegnern sowieso, aber auch im Fall der Kunst des Louvre und beim gefälschten Pinot Noir. Meist geht diese Haltung zusammen mit Israelfeindschaft, kritik- und bedingungsloser Palästinenserunterstützung bis hin zum Antisemitismus. Das Archiv meiner alten Website ist voll davon.

Die Justiz ist nicht ausgenommen von dieser Überheblichkeit. Sie dokumentiert sich bereits in Überschriften wie Sexe et politique : le culte américaine de la transparence. Sex und Politik: der amerikanische Kult der Transparenz.

Französischen MSM und großen Teilen der französischen Elite ist es nicht bewußt, daß Sexualverhalten von Politikern nicht deren Privatsache ist, daß zwischen privatem und öffentlichem Leben unauflösliche Zusammenhänge bestehen, daß "Mann" nicht im Privatleben Ehebrecher oder gar Vergewaltiger und im politischen ein den Werten verpflichteter Mensch sein kann, daß jemand mit psychischen Problemen wie denen des DSK in höheren öffentlichen Funktionen nichts verloren hat.

Allen voran sind es die angeblich emanzipierten französischen Frauen, die den Männern Freibriefe ausstellen. Im Fall der Anne Sinclair geht es so weit, daß sie die durch ihren Ehemann erlittenen Demütigungen und die ihr bekannten Übergriffe des chimpanzé en rut, des Schimpansen in der Brunft, wie ihn Tristane Banon, eines seiner Opfer, bezeichnet, noch als "Verführung" beschönigt. Schaut denn niemand genauer hin? Google.fr Bilder liefert zig Tausende Fotos, die man bitte betrachten möge. Man erfährt mehr über das Zusammenleben von Anne Sinclair und DSK als im detailliertesten Artikel des Figaro.

Die täglich gelieferten Beispiele an Männerherrschaft werden von MSM fehlinterpretiert, wie sonst könnte die Korrespondentin Laure Mandeville, eine Frau, vom "amerikanischen Kult der Transparenz" schreiben? Fällt es nicht einmal im nachhinein auf, daß Bill Clintons Affäre mit Monica Lewinsky exakt seinem politischen Verhalten entspricht? Ist nicht die Politik der Hillary Clinton heute geprägt von den Erniedrigungen, denen sie sich ausgesetzt hat, ohne Konsequenzen zu ziehen? Ein Blick in die Fotogalerie von Google.de reicht zu wissen, wen man vor sich hat. Man soll wirklich einem Gary Hart als US-Präsident trauen, der sich in aller Öffentlichkeit mit seiner Geliebten Donna Rice Hughes in eindeutiger Pose ablichten läßt? Mal drückt er auf ihre Brustwarze, mal auf die Klitoris, mal auf den Knopf zum Auslösen des Atomkrieges?

Fällt es den französischen Journalistinnen nicht auf, daß es immer die Männer sind, die von den ihnen zugebilligten Freiheiten im Privatleben profitieren? Die Komponente des Machtmißbrauchs kommt französischen Journalisten, ob Mann oder Frau, gar nicht erst in den Sinn. Zu deutsch nennt man es Unzucht mit Abhängigen, zugegeben, ein widerlicher Begriff, "Unzucht", aber jeder weiß, was er bedeutet, und was Abhängigkeit ist, ebenso. Im Fall des DSK kommt hinzu, daß dieser Mann keine Kontrolle über sich hat, so daß er sich und andere zerstört.

Laure Mandeville zitiert Nancy Gibbs' Artikel im Time Magazine Sex, Lies, Arrogance: What Makes Powerful Men Behave So Badly? Man gewinnt nicht den Eindruck, daß sie ihn verstanden hat.

Erst recht versteht von Frankreichs Eliten kaum einer, was es bedeutet, daß Staatsanwälte nicht vom Präsidenten eingesetzt, sondern von den Bürgern gewählt werden. Wie ist es sonst zu erklären, daß in abfälliger Art darüber berichtet wird? Neben dem bereits zitierten Bericht von Marie-Amélie Lombard-Latune steht kommentarlos: "Artie McConnell, procureur adjoint. L'affaire DSK le propulsera dans la cour des grands ou bien détruira sa carrière, prédit-on," man sage voraus, daß die Affäre DSK ihn in den Hof der Großen katapultieren oder aber seine Karriere zerstören werde. Solches ist kein Wort der Erklärung wert, etwa, daß in Frankreich, wie übrigens in Deutschland, Fehleinschätzungen, Fehlurteile der Justiz keinerlei Auswirkungen auf Gehalt und Pensionsansprüche der Juristen haben. Die deutschen Blogs sind voll von Empörung darüber, manchmal beklagt man das auch in den MSM. Es steht ebenfalls nicht dort, daß in Frankreich die Exekutive, meist durch das Justizministerium, in Einzelfällen durch den Staatspräsidenten, auf Prozeßführung und Urteilsfindung einwirkt. Das französische System ist erhaben, da müßte ein Cyrus Vance Jr. nicht um seine Wiederwahl durch die New Yorker Bürger fürchten, wenn er die Anklage im Prozeß gegen DSK nicht zum Sieg führt. Le Figaro kommentiert: "Cyrus R. Vance Jr. Parcequ'il est un élu, on dit souvent qu'une condamnation de DSK lui offrirait un tremplin vers une fonction encore plus prestigieuse." Weil er ein Gewählter ist, sagt man oft, daß eine Verurteilung des DSK ihm ein Sprungbrett zu einer noch prestigeträchtigeren Funktion böte. So sind sie, die Amerikaner, auf dem Unglück eines hochrangigen französischen Staatsbürgers bauen sie ihre Karriere.

Ausführlich wird geschildert, wie die Anwälte beider Seiten niemanden schonen, brutalest den Gegner zu destabilisieren trachten, und da muß im Figaro doch eine Stimme gehört werden, die unseren ethischen Vorstellungen nahekommt. Me Fisher : "Toute grande défense repose sur la vérité." Anwalt Ivan Fisher: "Jede große Verteidigung ruht auf der Wahrheit." So ist es also, Sprüche wie "Recht hat, wer recht behält," die stammen nicht aus unserer Gesellschaft, unsere Anwälte argumentieren mit der Wahrheit? Die Anwälte sollten mit Geistesstörung argumentieren, das wäre die beste Verteidigung, wenn man das geltende New Yorker Strafrecht berücksichtige. Es sei viel wirksamer, mit dem Staatsanwalt in Verhandlungen einzutreten, nachdem man einmal den Charakter der Unkontrollierbarkeit des DSK-Verhaltens bezüglich Frauen festgestellt habe.

Als wenn die Korrespondenten ein wenig die Arbeit des Anwalts Ben Brafman miterledigen wollten, bringen sie einen weiteren Destabilisierungsartikel. Me Tacopina : "Le procureur Vance ne peut pas se permettre de perdre un nouvel procès." Der Staatsanwalt Vance kann es sich nicht erlauben, einen weiteren Prozeß zu verlieren. Besagter Anwalt Joseph Tacopina hat nämlich eben einen Prozeß gegen Cyrus Vance Jr. gewonnen, was schlecht sei für dessen Chance auf Wiederwahl. Zwei Polizisten des New York City Police Department (NYPD) sind darin der Vergewaltigung einer betrunkenen Frau angeklagt. Dieser Fall soll dem des DSK ähnlich sein, obgleich man vom Anwalt nicht vernimmt, daß wie bei DSK eine Fülle von Vergewaltigungsversuchen der beiden Polizisten bekannt ist. In der inzwischen berühmten Sendung mit Tristane Banon, vom März 2007, sagt Thierry Ardisson gegen Schluß: "Alle wußten das. Ich habe 14 Freundinnen, die mir sagen 'Er hat es auch mit mir versucht' ... Ich denke, der Typ hat 'ne Krankheit." [3:59]